Berlin-Steine
In weiter Ferne, so nah: Diese Steine stehen für die Verbindung zu Berlin zur Zeit des Kalten Krieges
Das Wirken und Werken im Netz der Netze ist trotz aller aus Facebook-Revolutionen und Youtube-Karrieren gespeisten Faszination doch gemeinhin von schaler Ineffizienz gebeutelt. Je aktiver man sich im WWW gebärdet, desto offensichtlicher wird doch: Erwarte niemals mehr als den sympathischen Hauch eines selbstgenügsamen Vergnügens! Die hierfür verprasste Onlinezeit und bemühten Aktualisierungstätigkeiten werden uns in ein paar Jahren als Geisteskrankheit unserer Generation vorgehalten. Trotzdem hatten wir unseren Spaß.
Nun, was war das nun gerade doch für ein schwerfälliger Einstieg zu einem Artikel, der sich im Folgenden der wundervollen Verquickung von Online- und Offline-Aktivitäten verschreibt. Und das auf schwerem Geläuf: Denn - die diesem Blog schon länger treuen Leser mögen sich erinnern - eine meiner augenfällig sinnfreiesten Tätigkeiten meiner Blogdatenproduktion war wohl die Dokumentation der Berliner Straßen und Plätze in den Weiten der Republik.
„Dass meine Serie nicht vollends unerhört in den Weiten des Webs verhallt. Dass ich mitnichten der Einzige bin, den solche Berlin-Steine erfreuen.“
Frank Klötgen, Slampoet und Musiker
Ablösung der Matrize aus Reckli-Abformpaste vom Berlin-Stein am Luftbrückendenkmal
Bei diesen Dokumentationen sind mir die an solchen Orten oft platzierten Berlin-Kilometersteine stets eine besondere Freude gewesen. So bildete eine Foto-Auflistung der bei meinen Reisen entdeckten Steine nach 101 dokumentierten Straßen den folgerichtigen Abschluss der Serie. In ebenjenem Artikel hatte ich darum gebeten, mir die Vorkommen weiterer Berlin-Kilometersteine per Mail zu melden - ein Aufruf, der nicht völlig unerwartet ohne Antwort blieb.
Nun durfte ich aber kürzlich erfahren, dass meine Serie nicht vollends unerhört in den Weiten des Webs verhallt. Dass ich mitnichten der Einzige bin, den solche Berlin-Steine erfreuen.
Ein Jazzkneipenbetreiber aus Frankfurt geht da einen Schritt weiter ins reale Leben und engagiert sich für die Wiedererrichtung solcher Steine, die die Bundesregierung in den 50er und 60er auf eine Initiative von Gerd Bucerius an westdeutschen Autobahnen aufstellen ließ. Der Bund der Berliner und Freunde Berlins (BdBFB) ließ weitere Steine errichten, so dass deren Anzahl auf rund hundert Stück anwuchs. Und auf eine unbekannte Zahl wieder sank, denn viele dieser Steine wurde indes und insbesondere nach dem Fall der Mauer abgebaut und vermodern in Autobahn-Meistereien. Oder verschwanden spurlos.
Michael Damm spürt diesen Berlin-Steinen nach, geriet darüber auch auf meine Blog-Rubrik und mein letzter Auftritt in Frankfurt bot die Gelegenheit zum Berlinsteinerfahrungsaustausch im „Mampf“. Bei Bier und Chili erfuhr ich vom erfolgreichen Comeback des Bad Vilbeler Berlin-Steins (360 Kilometer), aber auch vom abgewehrten Antrag, den Frankfurter Stein (350 Kilometer) aus dem Waisenhaus der Autobahnmeisterei zu befreien und an der Frankfurter Berliner Straße (über deren trostlosen wie referenzarmen Zustand ich bereits berichtete) wieder sichtbar zu machen. Lokalpolitiker gegen Hauptstadtsteine - was sollen wir denn davon halten?
Über den Verfasser
Frank Klötgen ist Musiker, Hyperfictionautor, Bühnenliterat und hat mehr als 3.000 Gedichte und Songtexte geschrieben. Seit 1998 nimmt er regelmäßig an Poetry Slams teil. Aber damit sollte ab 2017 Schluss sein. 2016 begab er sich deshalb noch einmal auf eine ausgedehnte Tour mit den wichtigsten Slams an den schönsten Plätzen der Welt.